Sie sind kaum noch zu überhören, die ständigen Sensationsmeldungen aus dem Silicon Valley, dem gigantischen Tal der Träume durch die stetig sprudelnde Quelle für digitale Durchbruchsinnovationen mit der Aussicht auf Reichtum auf Lebenszeit. Über 90 Milliardäre leben im und um das Tal herum in Kalifornien – das ist Weltrekord. Nach Amazon, Google, Yahoo, Facebook und Twitter haben die neuen milliardenschwere Leuchttürme der Digitallandschaft Namen wie
– Airbnb: Untervermietungsplattform, hat von VC-Investoren bisher 120 Mio. $ Risikokapital erhalten
– Yammer: soziales Austauschnetzwerk für Unternehmen, 142 Mio. $ VC generiert, für 2,1 Mrd. $ an Microsoft verkauft
– Pinterest: digitale Foto-Pinnwand, sammelte über 6 Finanzierungsrunden bisher 338 Mio. $ Venture-Kapital ein
– GitHub: soziales Netzwerk für Programmierer, bekam in der ersten Finanzierungsrunde gleich 100 Mio. $ VC
– Dropbox: weltweiter Speicherplatzanbieter, überzeugte Investoren bislang 257 Mio. $ zu investieren
– Instagram: Foto-/Video-App, 57 Mio. $ Risikokapital erhalten, wurde für 1 Mrd. $ von Facebook akquiriert
– Eventbrite: digitaler Event-Organizer, begeisterte Investoren, die in bisher 6 Runden 140 Mio. $ spendierten
– Quora: digitaler Auskunftsdienst und Wissensplattform, konnte bisher 61 Mio. $ VC auf seinem Konto verbuchen
– Square: mobiles Bezahlen mit Mini-Adapter für Kreditkarten, sammelte über 4 Runden bisher 341 Mio. $ ein.
– Tumblr: Blogging-Plattform aus NY, sammelte 125 Mio. $ VC ein, bevor es d. Dienst für 1,1 Mrd. $ an Yahoo veräußerte
Die Welt blickt auf den bereits als Zuckerberg-Nachfolger gehandelten Lucas Duplan. Ganze 25 Millionen US-Dollar hat der heute 22-jährige Stanfort-Absolvent auf sein Geschäftskonto überwiesen bekommen – für eine einzige Idee, mit der mobiles Bezahlen auf innovative Weise vereinfacht werden soll. Neben den reichen, jungen, glamourösen und auf Effizienz getrimmten Wunderkindern aus dem Silicium-Tal machen ab und zu auch in Europa skandinavische Start-ups wie Spotify (Musik-Streamingdienst, Schweden), Rovio (Mobile-Gaming, u.a. Angry Birds, Finnland) auf sich aufmerksam. Und dann gibt es noch die vielerorts zitierten Kopiergiganten aus dem Samwer-Umfeld, den Digital-Vorreiter Otto und gelegentliche Meldungen aus digitalen Verlagsumfeldern von Axel Springer (knackte 2012/2013 die Milliarden-Euro-Marke beim Digitalumsatz), „E-Commerce“-Hubert-Burda-Media und Holtzbrinck. Aber sonst sind bahnbrechende Digital-Sensationsmeldungen in unserem Land doch eher rar gesät. Da stellt sich so manch einer die Frage nach dem warum? Sind wir Deutsche nicht kreativ genug, investieren wir zu konservativ, machen wir unsere Arbeit als Kontrolleure und Qualitätssicherer zu gut, fehlt es uns an zündenden Ideen oder gehen wir zu zaghaft heran? Was ist bei uns anders als unter der Sonne in Kalifornien?
Geringere Investitionsbereitschaft in Europa im Vergleich zu USA
Schaut man genauer hin, fällt auf, dass die durchschnittlichen VC-Investitionen in allen Investitionsphase (Seeding, zweite bis vierte Finanzierungsrunde, Spätinvestitionen) in Europa um 30-50% niedriger ausfallen, als im US-amerikansichen Wirtschaftsraum. Im Manager-Magazin 9/2013 sprechen die Autoren von durchschnittlichen Anschubfinanzierungen für Jungunternehmer mit hoffnungsvollen Geschäftsideen in Europa von 520.000 €, in USA von 1,7M €. Auch in nachfolgenden Investitionsrunden liegt Europa ziemlich abgeschlagen zurück mit 2 Mio. €, 3,5 Mio. € und 5,9 Mio. €, während in den USA durchschnittlich 5 Mio. €, 6,9 Mio. € und 11,8 Mio. € in Hoffnungsträger investiert werden. Die USA zeigen sich somit risikofreudiger und großzügiger als wir. Das ist auch der Grund warum hunderte von Jungunternehmern aus Berlin, Hamburg, München und Köln zu Hunderten ins Silicon Valley pilgern – voller Hoffnung und großer Erwartung auf der Suche nach dem ersten großen Scheck über 5, 10 oder sogar 20 Millionen. Alle wollen THE NEXT BIG THING sein. Aber ist es wirklich nur das größere Budget, das Innovationen erfolgreicher gedeihen und in USA die großen Schlagzeilen produzieren lässt?
Die wirklichen handverlesenen Perlen bekommen nur Top-Investoren aus Silicon Valley zu Gesicht
Top-Investoren mögen bei Lucas Duplan Schlange stehen, dennoch sind echte „Über-Ideen“, mit denen Milliarden-Umsatz-Wachstum generiert werden kann, auch im Valley keine Routineangelegenheit. Aber wie viele Erfolgsanwärter mit Milliardenpotenzial gibt es eigentlich? Experten sprechen vor vorgehaltener Hand von vielleicht drei, vier, fünf – pro Jahr. Mehr sollen es nicht sein. Und die wenigen werden vom „Inner Circle“ der Top-Investoren im High-Tech-Tal aufgesaugt und daher selten publik gemacht. Schon gar nicht bei uns. Und wenn überhaupt, dann höchstens, wenn ein paar aus Neugier getriebene Hochkaräter aus der deutschen Top-Management-Etage oder Politik, die sich für einige Wochen bis Monate in gelobten Tal der Zukunft niederlassen um – wie man hört – zu lernen. Um zu erfahren wie digitale Erfolgsgeschichten geschrieben werden können, kehren die Manager bei der Digital-Elite und Top-Investoren im Valley wie Andreessen Horowitz (VC-Fonds > 2,65 Mrd. $), Sequoia Capital (VC-Fonds > 2,4 Mrd. $), Accel Partners (VC-Fonds >10 Mrd. $), Kleiner Perkins Caufield Byers (VC-Fonds > 1,4 Mrd. $), Benchmark Capital Partners (VC-Fonds > 420M $), NEA (VC-Fonds > 5,6 Mrd. $), Graham’s Start-up Inkubator Y Combinator oder bei den Analysten der New Yorker Bank Goldman Sachs ein.
Von deutschen Unternehmern scheinen zumindest einige erfolgsgekrönte Überflieger und Investoren gar nicht so angetan zu sein. Geht die Tür wieder zu, schütteln sich so manche Köpfe: „Wieder diese Innovationstouristen mit ihren seltsamen Erwartungen“. Twitter-CEO Costello fand recht klare Worte, als er einer Management-Delegation eines Telekommunikationsunternehmen neulich unmissverständlich klarmachte, dass es Konzernen auf Dauer nicht helfen wird, sich quirlige Start-Ups einzuverleiben: „Macht euch bewusst, dass wir nicht in einen Zoo gehören. Wir wachsen lieber in der Wildnis auf.“ Auch wenn unklar bleibt, welches strategische Orientierungsgewicht solche Aussagen haben, klingen sie zumindest so, als seien sie von fester Überzeugung geprägt.
Was läuft im Technologie-Tal sonst noch anders?
1. Die Struktur
Als Tal der Superlativen zeigt sich das Silicon Valley als Innovationsökosystem und Wiege der Digitalökonomie mit Jahrzehnte lang gewachsener Struktur und Eigendynamiken. IT-Traditionsunternehmen, Chip-Industrie-Ikonen und mächtige Investoren-Clans fühlen sich hier etabliert. Sie kennen die Szene genau und geben die Spielregeln vor.
2. Das Risikokapital
Überfinanzierung gilt hier als Credo und Erfolgsprinzip. Die großen Digitalerfolge kommen von hier und geben der vielerorts dem VC-Wahn zugeschriebenen hohen Cash-Burn-Rate ihre Legitimierung. Ideen gelten hier als Motor, Kapital als Schmiermittel und Brennstoff, schnelles Wachstum und hohe Börsenbewertung als Ziel.
3. Das Wachstumsprinzip
Für die meisten namhaften Investoren ist schnelles Wachstum wichtiger als Profitabilität. Zu Beginn geht es ihnen überwiegend darum, möglichst schnell eine kritische Nutzermasse zu erreichen und das Nutzervolumen konsequent und mit vollem Einsatz zu vergrößern. Schnelles Wachstum wiegt hier schwerer als profitables Wachstum. Und je innovativer der Ansatz ist, desto höher zeigt sich in der Regel auch das Skalierungspotenzial. Im Silicon Valley kann ein Unternehmen noch nicht profitabel arbeiten und trotzdem eine hohe Marktbewertung haben – in Deutschland kaum denkbar.
4. Die Effizienzmaschine
Auf Hochleistung und Effizienz getrimmt, stehen die Akteure in einer knallharten Konkurrenzgesellschaft zueinander. Jeder will hier gewinnen, indem er früher und schneller zu Erfolgen kommt und härter dafür arbeitet, als woanders. Die Entwickler verdienen im Valley deutlich mehr als bei uns. Mag sein, dass die enorme Nachfrage hier den höheren Preis verursacht, andererseits zieht ein höherer Preis auch Talente an.
5. Die Risikobereitschaft und Experimentierfreude
Die Amerikaner sind experimentierfreudiger eingestellt. US-Unternehmen und US-Investoren sind bereit, sehr große Risiken auf sich zu nehmen. Viele Ideen werden ausprobiert und relativ schnell wieder verworfen, wenn sie nicht überzeugen können. Von 100 Ideen schaffen es bei den Vorzeige-Investoren vielleicht 1-3% in die engere Auswahl zu kommen.
6. Die Zweckgemeinschaft auf Zeit
Machen die Start-ups Fehler, sind die beteiligten Risikokapital-Manager bemüht, diese zu korrigieren.
7. Die Millionen-Chance
Hier sehen viele Visionäre und Jungunternehmer die Chance, mit überlegenen Durchbruchsideen tatsächlich eine Erfolgsspur zu hinterlassen in der Welt und innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von wenigen Jahren ein gigantisches Vermögen – möglicherweise sogar von über einer Milliarde Dollar – anzuhäufen.
8. Der Vernetzungscharakter
Zeit für ein Austausch und eine „Verzahnungsüberprüfung“ ist fast immer da, aber nur 10-15 Minuten. In dieser Zeit gilt es für die Aufeinandertreffenden auszuloten und zu entscheiden, ob sich eine Win-Win-Kooperation und damit eine zukünftige Gesprächsvertiefung lohnt. Auch ist Scheitern nicht so sehr verpönt wie bei uns. Und zu guter Letzt sprechen für über anderen Markvolumina.
9. Die Marktgröße
Der US-Markt ist um Faktor 3,25x größer als bei uns (USA: 313 Mio. Einwohner ./. DACH: 96 Mio. Einwohner). Eine größere Reichweite kann zu einem schnelleren Erreichen der berühmten kritischen Masse an Nutzern oder Kunden führen.
All dies ist wirklich beachtenswert. Silicon Valley zeigt sich somit als mit Hoffnung überladene Region mit einem Überschuss an guten Ideen, Inspirationen – aber auch mit nicht zu übersehenden Schattenseiten.
Kein Vollkaskoschutz für Fehlinvestitionen:
Die meisten Anläufe scheitern – auch hier
Jeden Tag stehen mehrere Millionen erfolgshungrige Menschen auf, um Platz zu schaffen für Neuerungen und Platzhirschen irgendwann durch neue Ideen abzulösen. Häufig mit einer Zuversicht und Intensität, als gäbe es kein Morgen mehr. Trotz dessen fahren fast alle an die Wand. In einem Studien-Review von DIGITALE INNOVATION zur Misserfolgsrate von echten Innovationen (überwiegend keine Copycats, keine als Produktvariation oder Produktverbesserung getarnte Produktinnovationen) konnten wir gestützt durch die Auflistung von 80 Innovationsbarrieren in Unternehmen, zeigen, dass die global antizipierbare Floprate deutlich über 90% liegt. Das bedeutet zunächst wesentlich weniger Erfolgsbeispiele als Unternehmen mancherorts wahrhaben wollen. Auch wenn es einige ganz wenige Menschen, die Potenzialträger in früher Phase etwas verlässlicher erkennen können, gibt – die meisten haben diese Gabe nicht. Und deshalb scheitern Innovationen. Das ist der Grund warum wir kaum neue Wahnsinnsmeldungen aus dem Silicon Valley und dem Rest der Welt zu hören bekommen. Misserfolge verkaufen sich in Medien eben schlecht. Und viel zu wenige Akteure trauen sich, öffentlich mit Scheitern in Verbindung gebracht zu werden. Das ist auch im Hoffnungsträgertal so – nicht nur in Europa.
Das Silicon Valley als EIN „Innovation Hotspot“ unter vielen auf der Welt
Keine Frage ist das Innovationsschwergewicht mit ortsansässiger Hochleistungsinfrastruktur im ITK-Bereich überragend erfolgreich wie kaum eine weitere Region auf der Weg. Dessen ungeachtet gibt es weitere Innovation Hotspots – die Ideen produzieren, die unsere Welt von morgen ändern werden. Zu finden sind sie bspw. in Boston (USA), in Rio de Janeiro (Brasilien), in Stockholm (Schweden), in Oulu (Finnland), in Deutschland (TU München, Universitäten Stuttgart und Erlangen, Karlsruher Institut für Technologie, Fraunhofer Institute, DLR, SAP, Daimler, BMW, VW, EADS, Siemens, Vodafone Innovation Park etc.), in der Schweiz (ETH Zürich, ETH Lausanne, Universität St. Gallen, Cern), in Israel (Hebrew University, Weizmann Institute of Science), in Peking (China), in Shenzhen (China), in Bangalore (Indien) und Singapur (Nanyang Technical University, University of Singapore, National Research Foundation, Biopolis, Fusionopolis). Diese Hotspots stellen nur einen kleinen, weil renommierten Ausschnitt dar. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Ballungsgebiete von Forschungs-, Entwicklungs- und Technologiecluster auf engstem Raum synergetisch verzahnt sind, aber aufgrund ihrer Größe nur selten in Erscheinung treten und Erfolgsschlagzeilen schreiben.
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